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   Künstlerische Einleitung   Kai Thyret   Ausstellungskatalog   2002
   Farbdrehungen und Werkschau :  Ranret
   Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen. Bei den "Farbdrehungen" handelt es sich
   um Arbeiten aus dem Bereich der computergenerierten Neuen Konstruktiven Kunst.
   Der Werkschau-Teil vermittelt anhand ausgewählter Werkgruppen einen Einblick
   des künstlerischen Werdegangs seit 1994.
   "Es sind Bilder! Sind es Bilder? ..." Eine Werkschau bietet die Möglichkeit, Knoten-
   linien, Korrespondenzen aufzuzeigen, aber auch grundsätzliche Fragen zu formulieren.
   Der in Freiburg i.Br. lebende Künstler Ranret umkreist die Frage nach dem Kunstwerk
   angesichts einer bestimmten technologischen Evolution und damit die Frage, wie sich
   unser Zur-Welt-Sein aufbaut. Die Arbeiten legen ein grobes Klassifikationsschema nahe:
   Strichbilder - Ringbilder, Copy Art im "klassischen" Sinn - "Traffic-Lights" -
   "Traffic-Roads" - Neuer Konstruktivismus.
   Die frühen Strichbilder mögen an pointillistische Farbexperimente erinnern, ihre tech-
   nische (handwerkliche) Erzeugung aber rückt sie in ein anderes Bedeutungsgefüge.
   Sie sind mit Filzstiften, Eddings, hergestellt und sie bedienen sich der industriell vor-
   gegebenen Palette. Die Konzentration auf den monochromen Strich verweist auf die
   kleinsten sinnkonstituierenden Elemente des Bildes. Während der Impressionismus
   das Programm verfolgte, die Wahrnehmung zu analysieren - und damit eine logische
   Konsequenz realistischer Malerei bedeutete, etablieren die Strichbilder ein anderes
   bildnerisches Konzept. Die Farben lehnen sich nicht nachahmend an die "Natur",
   sondern transportieren ihre ursprüngliche Funktion, die Signalwirkung,in das Ge-
   schehen des Bildes. Die Striche als kleinste Einheiten, als Atome, besitzen eine
   Dimensionalität und einen Richtungssinn; in ihrer Summe erzeugen sie eine bewegte,
   in die Tiefe vibrierende Oberflächlichkeit : erste Stufe der Dekontextualisierung
   und Reduktion. Die Strichbilder dienten als erste Kopiervorlagen.
   Copy Art stellt eine subversive Eroberung eines technischen Dispositivs dar, das für
   einen gänzlich anderen Zweck erfunden worden ist - das büromäßige Kopieren von
   Dokumenten. Die Erfindung der Photographie bedeutete eine epochale Erschütterung
   nicht nur der bildenden Kunst, sondern auch der Wahrnehmung. Im photographischen
   Dispositiv findet sich der künstlerische Einsatz strukturell angelegt. Walter Benjamins
   Thesen über "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" (1936)
   reflektiert diesen Bruch, der zugleich überkommene ästhetische Kategorien (Originalität,
   Kreativität, Inspiration) ins Wanken bringt. Reproduktion vernichte, so Benjamin, die
   "Aura" des Kunstwerks. Andererseits erschließt die Photographie bislang unsichtbare
   Aspekte der Wirklichkeit, erweitert mithin unsere Wahrnehmung. Photokopiergeräte 
   sind eine weitere Stufe technologischer Evolution, allerdings mit einem eingeschränkten
   Anwendungsbereich sowie andersartigen Produktionsbedingungen. Der künstlerische
   Nutzen erscheint zunächst unwahrscheinlich. Bemerkenswert ist, dass jede Stufe ihre
   eigenen (und also nicht reproduzierbaren) Möglichkeiten impliziert, die mit dem Fort-
   schritt, der Perfektionierung, der immer besseren Anpassung an spezifische Erforder-
   nisse verloren gehen. Aktuelle Kopiergeräte der Generation 2002 etwa besitzen nicht
   mehr die sog. "Kreativ -Module", mit denen sich Effekte wie Solarisation etc. erzielen
   ließen. Gewissermaßen besitzen die hier gezeigten Exponate mithin einen historischen
   Wert. Die "RingSerie" - Bilder verwenden als Grundmotiv farbige Plastikschraubver-
   schlüsse von Einweg- und Pfandflaschen bzw. deren Sprengringe. Wiederum begegnet
   hier das serielle, industrielle Motiv, diesmal bereits in der Vorgabe. Mit den Spreng-
   ringen wurde auf dem Auflagenglas des Kopierers eine "temporäre Matrix" arrangiert.
   Die Mutterkopie kann den Ausgangspunkt für Serien von Kopiergenerationen bilden,
   in denen sich die Arbeiten - durch Streckung, Zerrung, Spiegelung, Deckel-Rapping
   etc. - in einen kreativen Produktionsfluß einbetten. Nach Maßgabe ästhetischer Ent-
   scheidungen kann dieser Prozeß linear und non-linear verlaufen; die Zeitachse, an
   deren Anfang die "temporäre Matrix" als einmaliges Ereignis stand, erhält einen viel-
   fältigen Richtungssinn mit virtuellen Ausläufern. Zusammenfassend lässt sich das 
   Prinzip dieser Arbeiten in einem doppelten Paradox beschreiben. Mit Hilfe einer Re-
   produktionstechnik werden Produkte generiert, die durchaus eine auratische Qualität
   besitzen, mindestens dies aber als Frage (an W. Benjamin) aufwerfen.
   Diese "Produkte" - die Bilder - sind aber nicht das anvisierte Ziel der künstlerischen
   Tätigkeit, sondern mehr wie Etappen eines Weges. Das in sich geschlossene, irgend
   linear verstandene Kunstwerk öffnet sich in einem dynamischen Geschehen.
   Unter diesem Gesichtspunkt bedeutet der Computer einen Quantensprung an bild-
   nerischen Möglichkeiten. Die digital generierten Arbeiten verwirklichen das non-lineare
   Prinzip bereits strukturell, als technische Vorgabe. "Traffic-Lights" kombinieren mehrere
   Techniken, indem sie von Photos ausgehen und diese digital verarbeiten. Diese Serie
   spiegelt ihren Vorwand - eine alltägliche Fahrt durch einen Straßentunnel - in eine
   virtuelle Unendlichkeit.
   Bei den Farbdrehungen steht das Prinzip der Reduktion auf einfachste Flächenord-
   nungen im Vordergrund. Im Gegensatz zu den früheren Serien, die von der Reduktion
   auf geometrische Atome (Strich, Kreis) zu einer Explosion an Formen und Farbwerten
   hinführten, dominiert nun die geometrische und chromatische Beschränkung auch im
   Resultat. Zielvorgabe ist also die Generation von offenen, virtuellen Möglichkeitsräumen
   und Bildpotentialen. Damit ist ein das technische Dispositiv transzendierender Schritt
   unternommen, denn den einzelnen Bildern tut es keinen Abbruch, wenn man sie kon-
   ventionell auf Leinwände überträgt. In der Herstellung und im Umgang mit technischen
   Apparaten hat Ranret Erfahrungen gewonnen, an denen wir uns modellhaft verständlich
   machen können, wie Gegenstände der Wahrnehmung ( z.B. auch "Bilder") nicht nur
   einfach als fertige Formen vorliegen, sondern erst in einem Prozeß der symbolischen
   Formung sich als Gegenstände erweisen. "Denn die Wirklichkeit selbst erweist sich,
   unbeschadet ihrer strengen und unaufheblichen Gesetzlichkeit, nicht als ein starres
   Dasein, sondern als ein modifizierbarer, als ein bildbarer Stoff. Ihre Gestalt ist nicht
   fertig und endgültig, sondern sie bietet dem Wollen und dem Tun des Menschen einen
   Spielraum von unübersehbarer Weite. Indem er sich in diesem Spielraum bewegt [...],
   baut der Mensch sich seine Welt, seinen Horizont der 'Objekte' und seine Anschauung
   des eigenen Wesens fortschreitend auf."
   Diese Bilder sind zugleich keine "Bilder", insofern sie die Welt begegnen lassen nicht
   bloß als "forma formata" (gebildete Form), sondern als "forma formans" (bildende Form).
   Doch hinter allem - der theoretischen oder kunstgeschichtlichen Hintergrundstrahlung,
   der Reflexion auf's Material, Konzentration auf die stoffliche Eigenlogik - steht bei
   Ranret noch etwas anderes, ein Motiv purer Sinnlichkeit, die Lust am Bild.
   Kai Thyret    Philosoph  M.A.                                            Freiburg i.Br. im Juni 2002
   Literatur :
   Friedrich Nietzsche, Nachlaß 1880
   Ernst Cassirer, Form und Technik (1930)
   Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936)
   Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung (1945)
   Roland Barthes, Die Lust am Text (1973)
   Gottfried Boehm (Hrsg.), Was ist ein Bild (1996)



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